FESTREDE
Die Schriftstellerin Anna Baar (Absolventin des BRG Viktring, Maturajahrgang 1991) hielt eine viel beachtete Festrede bei der gestrigen Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes in Linz, das heuer unter dem Motto steht: „Das Ewig-Weibliche / zieht uns hinan.“
Die Kleine Zeitung brachte am Montag, dem 11. September, einen Auszug, den wir hier zitieren:
Im Jahr 1820 schrieb Abraham Mendelssohn an seine fünfzehnjährige hochmusikalische Tochter, die Musik werde für Felix, seinen elfjährigen Sohn, möglicherweise „Beruf“. Ihr aber solle sie stets nur zur „Zierde“ gereichen. Dem Bruder wären daher Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis „ehernachzusehn“, während es die Schwester„nichtweniger“ ehre, sich „gutmüthig und vernünftig“an seinen Erfolgen zu freuen. Solche Freude beweise, dass sie sich den Beifall selbst „verdienen“könnte, wäre sie „an seiner Stelle“: „Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen, sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert die Frauen.“
Fanny Mendelssohn, bekannt als Fanny Hensel, war ebenso begabt wie Felix, ihr jüngerer Bruder. Einige ihrer mehr als 400 Kompositionen erschienen zu ihren Lebzeiten unter seinem Namen. Erst kurz vor ihrem Tod mit 41 Jahren ließ sie einige Lieder als eigene Werke drucken – gegen den Willen der Familie (...).
Vor bald einem Jahrhundert ermaß Virginia Woolf im Essay „A Room of One’s Own“ die Entstehungsbedingungen schöpferischer Arbeit und die Beengung von Frauen:Um Werke zu erschaffen, bräuchte man nämlich Geld und ein eigenes Zimmer. Verstehen wir das Zimmer bitte auch als Metapher für ideellen Raum, den Grad der Ermöglichung – auch gesellschaftspolitisch! Und nehmen wir die Frau stellvertretend für alle sexistisch motiviert in die Enge Gedrängten! Manche hierzulande wollen die mühsam errungenen Räume ja wieder zusperren. (…)
Es wäre ein Irrtum, zu glauben, das „Ewig-Weibliche“ sei reine Frauensache. Es ist davon auszugehen, dass Goethe darin vor allem die höhere Instanz sah, die alle Erdenwesen, unabhängig von genitalen Merkmalen, vollends in ihre Kraft setzt. (…) Ein „Feminismus“, der das Weibliche nicht bewirbt als Okkasion für alle, wird dem Wortsinn untreu, wird Deckname eines Machtkampfs, der zur Konkurrenz ums Männliche verleitet, ihm zum Triumph verhilft – und zwar zum Schaden aller. (…) Wo Entgegenkommen, Erbarmen, Hilfsbereitschaft, Mitleid und Toleranz als sozialromantisch, naiv und versponnen gelten, verkommt die Welt zur Arena rücksichtslosen Eifers um Vorherrschaft und Ressourcen. (…)
Die Burschenherrlichkeit führt zum Verschwinden der Mitte, auch in politischer Hinsicht. In den Polterkammern und Kellern des „Ewig-Männlichen“handelt man Menschenrechte als Privilegien für eigene Klubmitglieder. Und um das zu legitimieren, hetzen die Hehler auch noch gegen die Betrogenen (…). Nur bringt man es nicht weit auf dem Rücken anderer, schon gar nicht auf Kosten derer, die sowieso weniger haben oder weniger dürfen. Wer sie als Feindbilder zeichnet, häufig unter dem Vorwand, sie würden die Sittlichkeit oder Kinder gefährden, gibt sie zum Abschussfrei – im Wissen, dass vor Hass kein noch so solides Gesetz schützt. Da planen drei junge Männer tatsächlich ein Massaker auf der Vienna Pride! Da schwenkt ein grauer Mob arg besorgter Bürger Schilder mit der Aufschrift „Villa Vida zusperren“, nur weil in dieser Villa, die ein queeres Café ist, ein Mann im Frauenkleid Kindern die Geschichte von einer Prinzessin vorliest, die einen Prinzen vor einem Drachen rettet.
Weit weniger harmlos ist das als Wahrheit verkaufte schmierige Schauermärchen von der „Frühsexualisierung“, das böse Ressentiment, das sich laut und schrill als Wachsamkeit verkleidet. Und wie schlafen die frömmelnden Vigilanten, die Kruzifixe schwingend vor Ambulatorien warten, um glücklos geschwängerte Frauen auf der Suche nach Hilfe des Mordes zu bezichtigen? Oder die selbst ernannten„Retter der Familie“, die abseits der bunten Parade Grabesstimmung verbreiten mit kleinen Täfelchen, auf denen zu lesen steht, dass Kinder keinen Sex, aber Liebe brauchen. Als habe irgendwer irgendwas anderes behauptet (…).
Die Schreckensherrscher der Welt reiben sich schon die Hände. Schauen wir nach Israel, wo konservative Kräfte Geschlechtertrennung und die Verdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Raum durchzusetzen suchen! Schauen wir in den Iran, nach Afghanistan, in all die Herrenländer, in denen Frauen verfolgt und erniedrigt werden! Ganz zu schweigen von Menschen, die weder als „richtige“ Männer noch als Frauen durchgehen. Es ist nicht lange her, dass unsere eigenen Leute beinhart ins Gas geschickt wurden, nur weil sie anders liebten.
Wie tief kann man eigentlich sinken, Damen oder Herren? Sparen Sie sich gefälligst Ihre heuchlerische, aggressive Besorgtheit! Wir werden hier gar nichts zusperren – weder die Villa Vida, noch Frauenanlaufstellen oder „Safer Spaces“, die es leider braucht, solange es Hetzer wie Sie gibt (…).
Und Sie, die in diesem Land, einem der reichsten und schönsten auf unserem Planeten, politische Ämter bekleiden, halten Sie dagegen! Ich wette, Sie meinen es gut und versuchen Ihr Bestes. Und es braucht viel Kraft, Cleverness und Mut, gute Ideen zu entwickeln, sich nicht korrumpieren zu lassen von der Stimmung im Stimmvolk oder Dinge zu sagen, die die wenigsten hören wollen. Ich verstehe schon, dass da manch einer schlappmacht und im Zustand des emotionalen Bankrottes der Versuchung erliegt, Gefahren aufzubauschen oder sogar zu erfinden, um sich als Retter zu geben. Diesen Trick kann jeder und er wirkt hundertprozentig. Aber wollen Sie als Profiteure der Angst in die Geschichte eingehen, als listige Krisengewinnler, die uns in einen Krieg führen, der nicht zu gewinnen sein wird? (…)
In Zeiten der Unsicherheit sehnen sich die Schwachen nach Geborgenheit in der alten Ordnung, nach der „klarenKante“ oder wie Sie das nennen. „Normales Denken“ eben. „Gesundes Volksempfinden“ … Ja! Nehmen wir Begriffe, die man in die Gülle von einst versenken wollte, denn die unverbrauchten, stubenreinen Wörter, die man stattdessen verwendet, verschweigen, woraus wir Lehren ziehen und was wir lehren müssen. (…) Es sind meist nicht die „Normalos“, die später alsKünstlerinnen von sich reden machen.
Es sei daran erinnert, dass das, was wir heute feiern, naturgemäß nicht normal ist – weder durchschnittlich noch artig. Kunst kann nicht entarten. Sie (…) taugt nicht zum Ausgleich gesellschaftlichen und politischen Versagens. Sie kann die Welt nicht retten, aber beim Leben helfen, begütigen und trösten – und uns animieren, das Erhebende in uns selbst zu entdecken: Das Weibliche ziert und belohnt uns alle gleichermaßen (…).
Erweitern wir die Räume, in denen Neues entstehen kann! Und sorgen wir dafür, dass, was dort entsteht, auch gehört und gesehen wird! Erst durch den Resonanzraum wird Musik Ereignis.
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